Wann ist es Zeit, aus dem Wasser zu springen?
- Ronja
- 14. Nov. 2024
- 4 Min. Lesezeit

Ein oft zitierter Vergleich zeigt, wie wir in Konflikten manchmal unsere eigenen Grenzen übergehen: Frösche springen angeblich sofort aus heißem Wasser, aber wenn man das Wasser langsam erhitzt, bleiben sie sitzen und bemerken die Gefahr erst, wenn es zu spät ist.*
Ebenso geht es Menschen, die sich lange an einer Sache oder Person stören und Kompromisse suchen, die nie wirklich eingegangen werden. Sie halten Konflikte aus, passen sich an und stehen nicht ganz zu sich selbst. Sie bleiben wie die Frösche im warmen Wasser – und erkennen nicht, wann sie abspringen sollten, bevor es unerträglich wird.
Einigen von ihnen bin ich in letzter Zeit begegnet und ich wurde immer wieder gefragt: „Wie erkenne ich, wann ich abspringen muss?“
Diese Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Jedoch denke ich, es ist wichtig, die eigenen roten Linien zu kennen und diese klar zu kommunizieren. Sei es in Partnerschaften, in der Kindererziehung oder in beruflichen Settings. Das schafft Klarheit für sich und andere und bewahrt einen selbst davor, im heißen Wasser zu leiden. Denn je höher der Leidensdruck, umso geringer wird die Chance auf eine gütliche Einigung.
Zur Dynamik von nachgebenden und dominanten Konflikttyp
Dabei ist mir aufgefallen, dass die Konstellation langwieriger und schwieriger Situationen begünstigt wird durch das Aufeinandertreffen zweier Konflikttypen (insg. gibt es nach dem Thomas-Kilmann-Modell Fünf – dazu an andere Stelle gern mal mehr 😉): Dem dominanten und dem entgegenkommenden/nachgebenden Konflikttyp.
Zugespitzt zeichnet den dominanten Konflikttyp ein hohes Durchsetzungsvermögen aus und das unnachgiebige Einsetzen für die eigene Sache. Sein Kooperationswillen ist gering. Der Entgegenkommende hingegen ist hochgradig kooperationsbereit und stellt dabei die eigenen Interessen in den Hintergrund.
In dieser Konstellation werden zwar immer wieder Kompromisse gefunden, doch der entgegenkommende Typ fühlt sich über kurz oder lang übergangen und hat den Eindruck, dass die eigenen Interessen kaum einen Platz finden. Diese Person fühlt sich mit der Zeit dann buchstäblich wie der Frosch im heißen Wasser und fragt sich, wie er dort hineingeraten ist.
Solch eine Konstellation kann sehr lange und mit hohem Leidensdruck halten. Möglich ist auch, dass solch Beziehungen mit einem „lauten Knall“ enden – irgendwann (nach einer gefühlten langen Leidensgeschichte) bringt der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen und der sonst so nachgiebigen Person wird es zu bunt: Sie geht. Oft mit einem Gefühl des Scheiterns verbunden, da die erwünschten Kompromisse nicht gefunden wurden. Zugleich wird dieser Schritt als die letzte Option angesehen – und als Befreiungsschlag erlebt.
Das Ampel-Aus als Beispiel einer schwierigen Konfliktkonstellation
Vielleicht ist das aktuell bekannteste Beispiel einer solchen Konstellation Bundeskanzler Scholz und sein ehemaliger Finanzminister Lindner. Demnach hat unsere Bundesregierung in der letzten Woche einen ähnlichen "Absprung" gewagt. Viele atmen auf, dass nun das Kapitel mit Herrn Lindner endet – ein Schritt, der für Viele längst überfällig war.
Scholz: nachgebender Typ
Denn schaut man sich die Stellungnahme von Scholz zur Entlassung Herrn Lindners an, wird deutlich, dass seinerseits schon lange sämtliche rote Linien überschritten wurden, die er bis dato geduldet hat.
Er wirkt betroffen, wenn er Aussagen trifft wie
- „Immer wieder habe ich in den vergangenen drei Jahren Vorschläge gemacht, wie eine Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien zu guten Kompromissen kommen kann. Das war oft schwer. Das ging mitunter hart an die Grenze auch meiner politischen Überzeugung.“
- „zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch (…) laute, ideologische Forderungen.“
- „zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze fachfremd blockiert“
- „zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“ (siehe ARD Mediathek „Scholz zu Ampel-Aus“ am 06.11.2014).
Offensichtlich sind seine Kompromissbereitschaft und das Zurückstecken eigener Überzeugungen zugunsten einer funktionierenden Regierung erschöpft. [1]
Blicke ich auf diese Situation mit einem Fokus auf die Konflikttypen, dann befreit sich Scholz aus der Position des nachgebenden Konflikttyps, indem er das Konfliktverhalten seines Gegenspielers, dem dominanten Konflikttyp, übernimmt. Das bedeutet: er steht kompromisslos zu seinen eigenen Interessen und entlässt Herrn Lindner.
Es bleibt noch die Frage offen, weshalb ich Lindner dem dominaten Konflikttyp zuordne.
Lindner: dominanter Typ
Ich kenne die beiden Politiker natürlich nicht persönlich, daher beziehe mich zur Einschätzung der Situation auf politischen Journalismus. In diesem Fall zitiere ich Herrn Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Er spricht in der Tagesschau am 7.11. von einer „notwendigen Entscheidung“ die seitens Herrn Scholz getroffen wurde und erklärt die Ansichten und Positionierungen von Herrn Lindner als „weltfremd“. Weiter führt er aus: „…insbesondere (hat) der Bundesfinanzminister in seinem Handeln häufig nicht ökonomisch, nicht inhaltlich, nicht argumentiert, was ist im Wohle der Menschen, was braucht die Wirtschaft. Sondern dass es um Dogma ging, um Ideologie und letztlich ein langgezogener Wahlkampf. Man hatte das Gefühl, es geht eigentlich nur darum, möglichst viele Stimmen bei der nächsten Wahl zu bekommen. Und wenn eine Bundesregierung so handelt, oder auch nur einzelne Parteien einer Bundesregierung so handeln, dann ist es gut, dass es Neuwahlen gibt (…).“
Dieser Aussage nach ging es Herrn Lindner tatsächlicher nicht um inhaltliche Kompromisse im Wohle des Landes, sondern zuerst um die parteipolitische Positionierung der FDP.
Mehr als Konflikttypen
Das Ende der Koalition kann politisch vielfach interpretiert werden. Poltische Taktiererei und Positionierung in Bezug auf die nächste Wahl beeinflussen ganz gewiss maßgeblich das Verhandlungsgebaren. Es ging hier ganz gewiss um mehr als zwei aufeinandertreffende Konflikttypen. Jedoch finde ich diesen Aspekt in dem Ampel-Aus wieder. Und noch eine gewonnene Erkenntnis aus meiner Mendiationsausbildung erkenne ich wieder:
Warum ein Ende nicht unbedingt Scheitern ist
Ein Abbruch oder das Ende einer Zusammenarbeit ist nicht automatisch ein Scheitern. Man hat nicht versagt, nur weil der Kompromiss unerreichbar blieb. Vielmehr geht es darum, zu erkennen, wann ein Konflikt unlösbar ist – und wann der Absprung der einzige Weg ist, bevor man selbst "verbrennt". Ein langsames Dahinsiechen bringt uns nicht weiter. Ein Ende mit Klarheit dagegen oft umso mehr.
Zum Schluss: Warum diese Perspektive lohnt
Wie bereits geschrieben, ist die Interpretation des Ampel-Aus mit der „Konflikttypbrille“ nicht erschöpfend. Aber sie verdeutlicht meines Erachtens gut, wie sich Dynamiken unter einer solchen Konstellation entwickeln können. Daher halte ich das Wissen um Verhandlungs- und Konflikttypen für alltagstauglich und sinnvoll. Es lohnt sich, sich selbst zu erkennen: Welcher Typ bin ich? Wie tickt mein Gegenüber? Was brauche ich, um aus meiner Komfortzone herauszutreten, um andere Lösungen herbeizuführen und um so langwierige, schmerzhafte Situationen zu beenden?
Denn niemand sollte als Frosch im heißen Wasser siechen!
wissenschaftlich nicht bewiesen - aber ein veranschaulichendes Bild.
[1] Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle, dass natürlich nicht zu unterschätzen ist, dass die Ampel-Koalition in einer Dauerkrise steckte und ihr Aus zugleich für die eigene Positionierung des nächsten Wahlkampfes genutzt wird. In dieser Situation inszeniert sich jede Partei gern als kompromissbereit – im Gegensatz zum Gegenspieler.
Comments